Die Blicke der Anderen.
6. Juni 2018Ich wache auf, meine Augen brennen. Die Sonne blinzelt durch die Vorhänge, ich schiele zur Uhr, wie spät ist es?
12:30 Uhr, eine ganz gute Zeit. Nach einem Nachtdienst im Ö3-Studio lege ich mich meist um kurz nach 7 Uhr ins Bett, es ist der erste von zwei Nachtdiensten gewesen.
Jetzt ist erst einmal Zeit für Frühstück. Während die Kaffeemaschine läuft, checke ich meine Firmen-Mails.
Beim Durchscrollen stoppt mein Daumen bei einem fremden Absender, Betreff: INFO.
Ich öffne das E-Mail und halte inne. Blicke auf eine Reihe von Kraftausdrücken und gesalzenen Unterstellungen, die alle meiner Person gelten. Bemühe mich, tief einzuatmen, während ich die gehässigen Zeilen lese. Eine klassische Haternachricht.
‚Was für ein schöner Start in einen neuen Tag‘, versuche ich zu witzeln, und merke trotzdem, wie mein Herz stärker zu pochen beginnt.
Ich arbeite beim größten Radiosender des Landes und es ist natürlich nicht das erste Mal, dass mich jemand wissen lässt, wie sehr er mich nicht ausstehen kann.
Es gehört zu einem Beruf in der Öffentlichkeit wie das Amen zum Gebet, das weiß ich, nicht zu persönlich nehmen, jaja, kommt eben vor, sowieso. Und trotzdem kann ich nicht verhindern, dass mein Körper reagiert und sich ein flaues Gefühl in meiner Magengegend breitmacht.
Ich lese die Zeilen erneut. Gesendet vor knapp zwei Stunden, um 10:36 Uhr.
Steckt in diesem Schwall aus Feindseligkeit irgendwo konstruktive Kritik? Nein, hier kann mich jemand offensichtlich einfach auf den Tod nicht ausstehen und es liegt ihm viel daran, mich das spüren zu lassen. Die Nachricht ist nicht lang, aber ich erkenne in jeder Zeile die deutliche Absicht, mich tief zu treffen.
Moment! Irgendetwas irritiert mich plötzlich: Die Absenderadresse!
Sie kommt mir bekannt vor, so vertraut. Wo habe ich diesen Nachnamen denn schon einmal gehört?
Ich öffne Google, tippe den Absender ein.
Und dann bleibt die Zeit kurz stehen.
NO WAY. Zwei Mausklicks später bin ich auf einer eleganten Homepage, die ich nicht zum ersten Mal sehe! Es ist eine Firma, die mein Lebensgefährte und ich vor nicht allzu langer Zeit in der engeren Auswahl für ein Projekt hatten- zu einer Kontaktaufnahme ist es aber nicht gekommen.
Ich scrolle durch das Mitarbeiter-Feed und bleibe beim Foto meines E-Mail-Partners hängen. Das ist er. Ganz sicher, auch wenn die Absenderadresse keinen vollständigen Vornamen enthält: Die darin enthaltenen Initialen stimmen mit seinem Namen überein.
Ich starre auf das adrette Portrait-Foto. Und tue mir schwer dabei, mir vorzustellen, wie dieser Mann heute Vormittag an seinem Schreibtisch ein derartig feindseliges Schreiben für mich formuliert hat.
Ich überlege. Lese die Zeilen noch einmal. Und wähle anschließend die Nummer, die die elegante Homepage angibt.
‚Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren!‘ steht in fröhlichen Pastelltönen unter dem Impressum. Na, dann los!
Ich gelange zur Sekretariatsstelle, die zuständige Mitarbeiterin begrüßt mich freundlich und fragt, was sie für mich tun kann. Ich bitte sie, mich mit Herrn K. zu verbinden. Sie fragt, in welcher Angelegenheit, Herr K. sei einer der beiden Geschäftsführer und womöglich gerade nicht an seinem Platz. Soso.
„Herr L. K. hat mir erst vorhin per E-Mail geschrieben und dazu habe ich jetzt ein paar Fragen“, antworte ich. Ich solle bitte kurz warten, sie stellt mich durch.
Während ich Musik von Mozart in Telefonqualität höre, merke ich, wie mein Herz wieder zu pochen beginnt.
Es ist seltsam, auf ein Gespräch mit seinem Hater zu warten. Wie begrüße ich ihn am besten?
Ich entscheide mich für ein klassisches „Guten Tag, Herr K.“, als er abhebt.
„Mein Name ist Christina Pausch, Sie haben mir heute Vormittag ein E-Mail geschickt!“
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
„Ich spreche doch mit Herrn L. K.?“
„Was wollen Sie?“
„Mit Herrn L. K. sprechen, bitte. Der, der vorhin Kontakt zu mir aufgenommen hat.“
„Der arbeitet hier nicht.“
„Oh, aha. Aber ich bin doch gerade mit ihm verbunden worden?“
„Moment, bitte…“
Es vergehen ein paar Sekunden.
„Hallo?“
„Das ist mein Bruder. Der ist jetzt aber nicht da.“
„Ihr Bruder? Verstehe. Und wo ist ihr Bruder jetzt?“
„In Innsbruck. Ich vertrete ihn. Was brauchen Sie von ihm?“
Ich muss aufpassen, nicht zu lachen. So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt, eigentlich war ich doch auf einen ernstzunehmenden Schlagabtausch am Telefon eingestellt gewesen! Mein Hater enttäuscht mich ein bisschen. Keine Beschimpfung, nicht einmal ein schnippisches Wort, dafür ein mysteriöser Bruder?
„Schade. Ich hätte gerne mit ihm gesprochen, um ihm zu sagen, dass ich sein Schreiben zur Kenntnis genommen habe. Und dass ich Kritik an meiner Arbeit äußerst ernst nehme, vor allem, wenn sie gepaart ist mit so heftigen Unterstellungen.“
Wieder kommt keine Antwort.
„Er ist offensichtlich kein Fan von mir, was völlig okay und fein ist.
Aber richten Sie ihm doch bitte aus, jetzt, da ich weiß, dass er ihr Bruder ist, dass die Art und Weise, wie er seine Kritik formuliert, kein gutes Licht auf Ihr Familienunternehmen wirft,- da Sie ja offensichtlich großen Wert auf Präsentation und Außenwirkung legen.“
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
„Hallo?“
„Ja, passt. Ich werde es ihm ausrichten.“
„Sehr freundlich. Alles Gute für Sie, ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Woche! Auf Wiederhören.“
Und damit lege ich auf.
Ich fühle mich besser. Und irgendwie erleichtert. Nicht, weil ich glaube, dass L. K. (oder sein Bruder?) nach diesem Gespräch seine Meinung über mich ändern wird, bestimmt nicht.
Aber vielleicht habe ich doch irgendjemanden vor seinen verbalen Ergüssen geschützt, indem ich ihn kurz angetippt habe, à la:
‚Verzeihung? Hallo. Ich wollte Ihnen nur schnell sagen, dass wir hinter unseren Profilnamen und Mailadressen übrigens alle ECHTE Menschen sind. Es gibt uns wirklich!‘
Vielleicht erinnert er sich beim nächsten Mal ja daran, bevor er in die Tasten hackt. Ich wünsche es ihm ehrlich.
2 Comments
Toller Post liebe Christina. Find ich echt stark von dir!
Schönen Abend meine Liebe.
Wie sehr ich mich freue wieder etwas hier lesen zu dürfen. Das Thema ist auch sehr interessant und ziemlich treffend. Gut, dass uns unser Gedächnis nicht in Stich lässt und du deinen Hater kontaktieren konntest.
Gerade in den letzten Jahren bekomme ich immer mehr mit, dass hinter allem (jeden Radio, jedem Telefonat beim Arzt, jeder Mail,…) echte Menschen stehen, die wie jeder anderer ihren Job machen – dadurch ist mir auch bewusst geworden, wie viel ich und wir alle nicht wissen, nicht wissen können. Deshalb hab ich verstehen gelernt, was hate in meinen Augen und in vielen Fällen bedeutet. Etwas zu Verurteilen oder schlecht zu machen vondem man eigentlich keine Ahnung hat. Und das ist ok und Menschlich. Auch wenn hate nie schön ist, stärkt es uns 😉 und ahja bevor ichs vergesse… Das mit dem nicht zu ernst nehmen und die reaktion deines Körpers ist doch einfach nur….. MENSCHLICH. Wir sollten über alles nachdenken dürfen und zu allem Gefühle zeigen dürfen!
You are amazing und sehr schön geschrieben! Alles Liebe! ❤️